Interviews

 http://www.trouble-in-paradise.de/01dreamfactory/text0101.html

Einheimische zum Mitnehmen

Interview mit der Fotografin Marily Stroux über Rassismus in Bildern

FernWeh: Über die Hälfte aller Fotos werden auf Reisen gemacht. Was anderswo zu sehen ist, scheint eher ein Foto wert, als der ganz normale Alltag. Was ist der klassische Urlaubsblick auf Menschen?

Marily Stroux: Es gibt verschiedene Urlaubsblicke: Der eine ist der ICH-WAR-DA-Blick, also wenn die Leute sich in einer fremden Landschaft gegenseitig fotografieren – ein bisschen als Beweis, dass sie da waren. Ich hab’ mal vier Fotoalben einer älteren Dame angeschaut. Auf allen Bildern standen sie und ihre Handtasche. Nur der Hintergrund war immer unterschiedlich. Im letzten Fotoalbum war sie alt und offensichtlich im Altersheim, ließ sich aber weiterhin mit ICH-WAR-DA-Fotos festhalten.
Der andere touristische Blick ist der auf Architektur, Kirchen, Denkmäler und alles was die Daheimgebliebenen später beeindrucken wird. Dabei wirken Einheimische und Vorbeigehende störend. Auch die TouristInnen sind seltsam rücksichtsvoll miteinander, damit sie den anderen nicht im Bild stehen.
Die meisten TouristInnen sind scheu, Menschen und insbesondere Einheimische zu fotografieren. Aber einige haben diese Scheu nicht. Und da fängt oft der Rassismus an, in der Art wie sie fotografieren: Gehst du zu den Menschen hin, stellst einen Kontakt her, redest mit ihnen und fragst dann, ob du ein Foto machen kannst – oder siehst du die Menschen nur als lebendigen Punkt, der gut in deine Kulisse passt, damit dein Foto ‘lebendiger’ wird!

FW: Das Ablichten der Menschen als lebendige Punkte, ist das bereits rassistisch? Welche Fotos sind überhaupt rassistisch?

MS: Die Haltung eines Menschen drückt sich in den von ihnen gemachten Fotos aus. Es gibt viele Arten von Fotos, die ich nicht schätze, wie die geklauten Momente mit Teleobjektiv von ganz weit weg oder von ganz nah. Die Bilder, wo du merkst, dass der fotografierte Mensch zum Objekt gemacht wird. Wenn du einen Menschen von weit weg mit dem Teleobjektiv fotografierst, dann ist dieser Mensch ohne sein Wissen auf dem Bild zum Anfassen nah. Für die, die sich mit Fotografie auskennen, ist die vorgetäuschte Nähe und Intimität sichtbar, für sensible BetrachterInnen ist sie spürbar. Wenn man aus einem halben Meter Entfernung das Gesicht seines Gegenübers mit einem Teleobjektiv fotografiert, dann hat man ein Bild gemacht, als ob man die Fotografierte berühren würde.
Gerade für Reisende sind aber Fotos nicht nur Mittel zum Zwecke der Dokumentation, sondern auch Produkte ästhetischen Empfindens.
Wenn Fotomotive aus ästhetischen Gründen gesucht werden, so werden Menschen für eben diesen Zweck funktionalisiert. Ob nun Werbung dahinter steht oder einfach nur Ästhetik, ob damit Geld gemacht wird oder nicht, das ist egal – die Haltung beim Fotografieren ist die Gleiche.

FW: Haben die Fotografierten nicht auch noch nach der Kontaktaufnahme Objektcharakter? Schließlich dient ein solcher Kontakt oft nur dem Bild...

MS: Ja, das stimmt. Selbst wenn ich im Gespräch mit den Leuten bin, die ich fotografiere, und ich ein Verständnis von ihrer Situation entwickelt habe, ist danach auf dem Bild hauptsächlich mein Blick auf diese Situation und die Menschen zu sehen. Aus diesem Dilemma heraus habe ich vor sechs Jahren die Idee mit den Tafelfotos entwickelt. Tafelfotos sind Bilder von Menschen, die auf eine kleine Kreidetafel ihre eigenen Gedanken oder eine Antwort auf eine Frage, die ich gestellt habe, aufschreiben und sich dann mit ihrer Antwort fotografieren lassen. Dadurch werden sie aktiv, sie geben eine Nachricht an die BetrachterIn und werden nicht mehr als Objekt betrachtet.

FW: Was ist ein gutes Foto?

MS: Ein Bild, das zum Nachdenken anregt, das Assoziationen im Kopf der BetrachterInnen hervorruft oder irritiert. Für mich ist ein Foto gut, wenn es mich berührt, für einen anderen, wenn es technisch perfekt ist. Ich fotografiere, weil ich das, was ich sehe und dabei empfinde, auch für andere sichtbar machen möchte. Für mich muss ein Bild, auch wenn es für eine große Öffentlichkeit gedacht ist, nicht großformatig sein. Bilder in Kleinformat haben für mich etwas Geheimnisvolleres und Persönlicheres. Mich interessieren sie viel mehr. Aber grundsätzlich ist für mich der Inhalt viel wichtiger als das Format oder der Kontext.

FW: Du hast gerade die Tafelfotos erwähnt. Welche Möglichkeiten gibt es noch in deinem Sinne, ‘gute Bilder’ zu machen?

MS: Eine Möglichkeit ist, gemeinsam mit den Fotografierten eine Fotoidee zu entwerfen und umzusetzen. Die Postkarten mit Jackson, einem Flüchtling in Hamburg, sind ein Beispiel. Die Idee zu den Postkarten haben Jackson und ich entwickelt. Er aus seiner Sehnsucht, ein Porträt von ihm mit Hamburg-Hintergrund zu haben, am liebsten als Poster. Das Bild als Beweis, dass er da war und als Erinnerung für später und für seine Freunde zu Hause. Jackson ist als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Er wollte den ICH-WAR-DA-Blick als Flüchtling. Allerdings steckt hinter diesem Blick eine ganz andere Geschichte als bei den klassischen Urlaubsfotos. Schließlich geht es nicht darum, den Ort mitnehmen und eigentlich wieder weg und woanders hin zu wollen, sondern es geht ganz existentiell darum, überhaupt zu sein, also das Recht auf die eigene Existenz an einen tatsächlichen Ort zu knüpfen – nicht länger im Nicht-Ort unsichtbar zu bleiben. Als ich dabei war, das Foto zu machen, wurde er festgenommen und musste monatelang im Abschiebeknast sitzen. Dann habe ich eine ganze Reihe von Postkarten gemacht mit Texten, die er mir auf Video erzählt hatte.

FW: Auf diesen Fotos wird die Interaktion zwischen Dir und den Fotografierten ganz gezielt offengelegt, um der rassistischen Wahrnehmung zu begegnen. Geht das auch auf Reisen?

MS: Wenn ich ein Bild von jemandem sehe, der böse schaut, interpretiere ich es so wie ich es verstehen kann. Die eigene Geschichte macht den besonderen Blick jedes Einzelnen aus, beim Betrachten ebenso wie beim Fotografieren. Du hast mehrere Leute, die das gleiche fotografieren, und auf den Bildern siehst du unterschiedliche Sachen. Der eigene Blick sind die Gedanken, die sich der fotografierende Mensch macht, seine Erfahrungen, seine Haltungen – und das bestimmt den Blick.
Rassismus zu dokumentieren sollte überall möglich sein, doch ein Hindernis auf Reisen ist, dass du meistens in einem fremden Land bist, wo du die kulturelle Bedeutung nicht richtig erkennen kannst, weil du sie aus deinem Verständnis interpretierst. Und weil man weniger Zeit hat als zu Hause, weniger Ruhe zum Nachdenken. Da können Missverständnisse viel besser wirken. Wenn man sich die Situation, in der man auf Reisen fotografiert, später selber als Außenstehende anschauen könnte, dann würde einem in den meisten Fällen das Foto nicht mehr gefallen: Das Foto selbst stimmt vielleicht, aber die Situation stimmt irgendwie nicht. Es ist ein Unterschied, ob du mit einem deutschen Pass und einem Rückflugticket in der Ferne das Fremde suchst und dich dabei erholst oder ob du in deinem Alltag offen für Menschen mit anderen Geschichten als deiner eigenen bist. Ich finde es wichtiger, da wo man lebt, genauer zu gucken, weil zu Hause die Möglichkeiten sich aktiv für Veränderungen einzusetzen, viel größer sind.

FW: Sind denn die auf Reisen Fotografierten immer nur passiv, nur einheimische Abgelichtete?

MS: Langsam fangen die Einheimischen an, zurückzuschlagen, wie zum Beispiel sehr schön in dem Film »Cannibal Tours« von Denis O`Rourke zu sehen ist. Hier lassen sich die Einheimischen für die fotographischen Bedürfnisse der TouristInnen nackt mit Totenköpfen ablichten. Die Leute haben für sich entschieden, wenn die TouristInnen das brauchen, dann machen wir es mit – aber nur gegen Geld. Aber viele sind dabei verbittert – und das zeigen sie auch auf den Fotos.
Ganz ähnlich verhält sich ein alter Mann auf der Akropolis in Tsoliasuniform. Eigentlich sind das immer große schicke Typen, die diese traditionelle Militäruniform tragen – der alte Mann fällt da ziemlich aus der Reihe. Als die Urlauber ihn fotografieren wollen, beschimpft er sie, dreht er sich weg und schreit: »Erst zahlen!« Erst wenn er das Geld in die Hand hat, stellt er sich schnell hin, ganz kurz nur, damit kein Mensch ihn währenddessen umsonst fotografiert. Das ist seine einzige Möglichkeit, aus der reinen Objektposition selber herauszukommen und etwas davon zu haben. Aber mürrisch ist er dabei schon, und das zeigt er auch.

FW: Wie ist es, wenn die TouristInnen von sich aus Geld geben, ohne danach gefragt zu werden?

MS: Je ärmer die Leute – beispielsweise in Griechenland –, desto bedeutsamer wird für sie Gastfreundschaft, desto undenkbarer und beleidigender ist es, Geld für etwas zu bekommen, das sie anbieten. Urlauber hingegen sind es gewohnt, dass fast alles durch Geld geregelt wird. Die TouristInnen kompensieren durch das Geben von Geld ein Wegnehmen von etwas, wollen irgendwie ein offensichtlich nicht vorhandenes Gleichgewicht herstellen. Aber gemessen am professionellen Fotobusiness – sprich, wenn Leute ihren Unterhalt als Model verdienen – müssten sie eine ganz andere Summe bezahlen.

FW: Urlauber verstehen sich also auf Reisen und beim Besuch anderer Länder ohnehin als Gebende und nicht als Nehmende?

MS: Sicher, und da gibt es Parallelen zur Haltung von deutschen Diplomaten: Kürzlich wurde in Athen der Botschafter der BRD von Opfern der Nazidiktatur mit Entschädigungsforderungen konfrontiert. Er antwortete, dass die deutschen TouristInnen in den vielen Jahrzehnten, die sie in Griechenland Urlaub machen, die Wiedergutmachung doch bereits geleistet hätten.
Das Interview ist eine gekürzte Version aus: Im Handgepäck Rassismus. S. 191-200, iz3w 2002. Das Interview führte Martina Backes, FernWeh.
Stroux, Marily/Gallas, Gamel/Jackson, Andrews: [über die grenze] [cross the border]. »stowaways« Postcard series. kein mensch ist illegal. Hamburg 1997.
**********************


http://www.thing-hamburg.de/index.php?id=657
 
19. August 2007

"Wenn du schon im Kopf hast, ..."

"...was du sehen willst, dann siehst du den Rest nicht"
Interview mit der Fotojournalistin Marily Stroux von Tina Fritsche

Die Hamburger Fotojournalistin Marily Stroux arbeitet seit Jahren zu und mitten in sozialen und politischen Bewegungen. Dass sie sich mit ihrem Engagement nicht nur Freunde macht, erlebte Stroux beim G8 Gipfel. Ein Gespräch über sinnfreie Akkreditierungen, die Stärke des Schwarzen Blocks und eine verpasste Verabredung mit Nancy Reagan…


T.F.: Kurz vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm hat es für Wirbel gesorgt, dass das Bundespresseamt dir die bereits erteilte Akkreditierung verweigert hat mit der Begründung, das Bundeskriminalamt (BKA) habe eine entsprechende Empfehlung gegeben.

M.S.: Ich habe zuerst gedacht: Das ist Verarschung, da macht jemand Witze. Ich hatte ja Wochen vorher die Bestätigung für die Akkreditierung bekommen und dann kurz vor dem Gipfel nur noch mal nachgefragt, wo ich die denn nun abholen kann. Zwei Stunden später kam eine Mail vom Bundespresseamt, dass die Akkreditierung auf Empfehlung des BKA zurückgenommen wird.

Zwanzig anderen Journalistinnen und FotografInnen ging es ähnlich.

Ja, aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht. Mir war klar, dass ich sofort reagieren muss. Erst habe ich meinen Fotografinnenverband freelens angerufen und dann direkt meine Anwältin Gabriele Heinecke. Schon am nächsten Tag saß ich frühmorgens im Zug nach Berlin zum zuständigen Verwaltungsgericht. Ich bin es nicht gewohnt, juristischen Kram selbst zu erledigen, aber meine Anwältin hatte andere wichtige Termine. Also hat sie mir alles genau erklärt und mir gesagt, dass es ganz einfach ist und dass es mein gutes Recht ist - ich solle einfach rein gehen und sagen, dass ich einen Eilantrag stellen will. Mein Kollege Hinrich Schultze kam als Zeuge mit. Wir gingen also direkt vom Zug ins Gericht, da saßen drei Pförtnerinnen und die haben sofort verstanden, was ich wollte. Ein Gerichtsangestellter, der sich viel Zeit nahm, hat auch gleich kapiert, worum es mir geht und meinen Eilantrag sehr schön formuliert. Dieses Entgegenkommen und die Hilfsbereitschaft hat mich schon überrascht. Als wir abends zurück nach Hamburg kamen, war die Informations- und Solidaritätswelle schon angelaufen. Das war alles sehr angenehm. Auf die richterliche Entscheidung mussten wir dann aber noch einen Tag lang warten: das Bundespresseamt hat rechtswidrig gehandelt! [Das Gericht verpflichtete in dem Urteil das Bundespresseamt dazu, Marily Stroux eine Akkreditierung zum G8-Gipfel in Heiligendamm zu erteilen. Der Bescheid des Bundespresseamtes, der sich ohne inhaltliche Begründung nur auf die Empfehlungen des BKA berufe, sei aus formellen und materiellen Gründen rechtswidrig - VG 27 A137.07. T.F.]

Hast du jemals die genaue Begründung erfahren, warum deine Akkreditierung abgelehnt wurde?

Die Begründung lautete nur "auf Empfehlung des BKA". Kurz bevor wir in das Verwaltungsgericht gegangen sind, habe ich mit dem BKA telefoniert - Hinrich und ich saßen auf einem Spielplatz in der Nähe des Gerichts und ich rief beim BKA an… Der zuständige Herr Wisser war sehr freundlich, sagte aber, dass er gar nichts darüber wisse. Das sei Ländersache, ich solle beim LKA in Hamburg nachfragen - „aber schriftlich!" Da hab ich ihn gefragt, ob er merkt, dass es schon Freitag sei und ich ja Samstag anfangen wolle zu arbeiten. Es war offensichtlich, dass sich keiner für mich zuständig erklären würde. So war es dann auch: In den Tagen danach haben Kollegen von mir beim LKA in Hamburg und bei der Polizeipressestelle nachgefragt und immer hieß es, sie hätten keine Empfehlung rausgegeben. Entweder stimmt also die Begründung der Bundespressestelle gar nicht oder aber das BKA hält alles geheim.

Und deine persönliche Vermutung?

Am Anfang hab ich gedacht, das hängt mit den Hausdurchsuchungen, mit meiner politischen Haltung als Journalistin zusammen. Bei einem Freund von mir gab es eine zehnstündige Hausdurchsuchung, und nach der Geruchsprobe hab ich ihn vom Polizeipräsidium abgeholt. Außerdem kennte ich einige von den anderen Kollegen persönlich, denen auch die Akkreditierung für den G8 verweigert wurde. Erst habe ich versucht, hier den Zusammenhang zu sehen. Jetzt denke ich, dass sie einfach die kritischeren JournalistInnen raushalten wollten.

Warum eigentlich die ganze Aufregung? Was bringt so eine Akkreditierung überhaupt?

Jedenfalls keinen Zugang nach Heiligendamm. Du kamst damit nur zum Pressezentrum in Kühlungsborn. Kollegen, die da waren, waren total empört, weil sie eigentlich nur in diesem Zelt saßen und keine direkte Informationen bekommen haben. Die ARD war direkt in Heiligendamm und hat auf großen Leinwänden ihre Auswahl an Berichten ins Pressezentrum geschickt, daraus haben die akkreditierten Journalisten dann ihre Berichte gemacht. Von freier Berichterstattung kann da keine Rede sein. Du kommst als normal Akkreditierte nirgendwo hin, nur zum Buffet. Darüber kannst du dann auch berichten! Ich bin also nur kurz hin, um meine Akkreditierung abzuholen…

… als politisches Statement?

Ja. Und sie wurde mir dort noch mal verweigert. Ich hab der zuständigen Frau gesagt, sie irre sich, ich hätte das Gerichtsurteil bei mir - sie meinte aber trotzdem, sie hätte kein Okay, ich solle nach Hamburg fahren und später wieder kommen. Da hab ich gesagt, sie soll ihren Chef anrufen, ich würde mich nicht bewegen, ich bleibe hier.

Für wen warst du akkreditiert?

Das ist ein wichtiger Punkt. In dem Akkreditierungsfragebogen sollte ich auch sagen, für welche Redaktion ich arbeite. Eigentlich arbeite ich frei. Und ich bin der Meinung, dass du als freie Journalistin oder Fotografin nicht deinen Auftraggeber nennen musst. Es ärgert mich, dass du unter Druck gerätst, eine Redaktion zu nennen. Als Freie hast du außerdem meist weniger Chancen, an die Akkreditierten-Termine zu kommen. Dann gibt’s noch einen Haken: Eine Allgemein-Akkreditierung reicht nicht, du brauchst für jeden einzelnen Termin auch eine Akkreditierung. Bei Poollösungen stehen dann die Agenturen mit 30 Fotografen, von denen kriegen zwei eine Akkreditierung für einen Termin. Ich als Freie stehe da alleine – da sind meine Chancen minimal. Meine Akkreditierung lief dann über „Balita“, eine philippinische Zeitung, die in Athen herausgegeben wird; die philippinischen Communities auf der ganzen Welt sind sehr gut organisiert.

Was wolltest du ursprünglich beim G8 fotografieren?

Ich wollte es erst machen wie in den 80er Jahren in Genf mit Reagan, Gorbatschow und verschiedenen europäischen Chefs. Ich war als Fotografin zusammen mit meinem Vater, einem Journalisten, akkreditiert für die griechische Presseagentur. Anfangs wollte ich dokumentieren, was da stattfindet, und dann hab ich gemerkt, das macht gar keinen Sinn. Viel besser ist es, zu dokumentieren, wie die Journalisten da arbeiten. Konsequent gegen den Strom… Dabei sind ein paar richtig gute Fotos entstanden. Ich war damals zum Beispiel in der russischen Botschaft. An einer Stelle, an der die ganzen Fotografentaschen kontrolliert wurden, fotografierte ich eine Lenin-Büste mit diesem Sicherheitsmenschen von der russischen Botschaft im Hintergrund. Am nächsten Tag war Lenin mit einer Gardine zugedeckt, damit er nicht mehr fotografiert werden kann. Solche Sachen hätte ich auch gerne in Heiligendamm dokumentiert. Das macht ja kaum jemand, sondern alle versuchen, das gleiche Foto von den Politikern zu machen.

War die Berichterstattung damals einfacher?

Naja, damals war das Pressezentrum ein Hotel in Genf und abends stand der Pressesprecher vom White House auf einem Stuhl, hatte die Zugangskarten mit den einzelnen Terminen in der Hand und die Fotografen erstickten ihn fast, weil jeder versucht hat, so ein Kärtchen zu schnappen. Das war brutal. Wahrscheinlich geht das jetzt organisierter zu - vor allem in Deutschland. Bei mir hat er gemerkt, dass ich die einzige war, die kein Interesse hatte, sich wegen dem Kärtchen zu schubsen - als Dankeschön gab er mir dann einen Termin: Ich durfte Nancy Reagan beim Kindergarten fotografieren. Aber da bin ich nicht hingegangen.

Was hast du denn nun beim G8 gemacht?

Für mich war es gut, nicht damit beschäftigt zu sein, Politiker oder die Kollegen zu fotografieren. Ich war die ganze Woche über bei den Demos, den Blockaden und beim Alternativgipfel, habe Fotos und Videos gemacht. Ich wollte – auch für die Balita - die philippinischen Menschen treffen, die zum Alternativgipfel eingeladen waren, sie interviewen und fotografieren, besonders Walden Bello. [Soziologe und Träger des alternativen Nobelpreises, T.F.]

Wie gehst du als Fotografin in Situationen?

Mit nichts. Ich arbeite nicht so, dass ich vorher ein Konzept mache und dann die Verwirklichung meines Konzeptes suche, sondern ich geh einfach mit offenen Augen und guck mir an, was da ist und dann sehe ich Sachen. Ich denke, das ist der einzige Weg, offen mit Situationen umzugehen und wahrnehmen zu können. Wenn du schon im Kopf hast, was du sehen willst, dann sieht du den Rest nicht.

Ganz ohne Vorannahmen?

Bei den Protesten wusste ich sehr genau, was ich tun wollte. Mir war es total wichtig, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit des Protestes zu zeigen, mir war es ganz wichtig, die Gäste aus den afrikanischen Ländern zu begleiten. Da waren sechs oder sieben Leute aus afrikanischen Ländern zum Alternativgipfel eingeladen und die Leute, die eigentlich großes Interesse an diesen Diskussionen gehabt hätten, konnten nicht dabei sein. Man kann sich nun mal nicht in zwei teilen, und die Veranstaltungen wurden auch nicht mit Video zu den Blockaden livegestreamt - eigentlich wäre das nicht schlecht gewesen. Deshalb war es mir wichtig zu dokumentieren. Ich wusste also schon, was ich wollte.

Passte das, was du selbst rund um den G8-Gipfel vor Ort gesehen und erlebt hast, mit den Bildern zusammen, die du später in den Medien gesehen hast?

Nein, die Mainstream-FotografInnen und JournalistInnen gehen nur zu bestimmten Sachen, machen alle das gleiche Bild und schreiben meist die gleiche Geschichte. Sie kriegen ganz viele Sachen nicht mit, sie nehmen sich die Zeit nicht, es interessiert sie nicht. Aber das ist leider ganz ähnlich in den alternativeren, linken Medien. Bei der Auswahl der Bilder in den Zeitungen war die gleiche Linie zu sehen: gezeigt wurde, was am meisten Lärm machte und für alle sichtbar war. Die leiseren Momente hab’ ich vermisst. Zum Beispiel die Demo in Rostock – die bestand für mich aus zwei Teilen. Man hätte superviele andere Bilder von dieser Demo zeigen können – auch vom schwarzen Block, von seiner ruhigen Stärke – in Rostock wie auch bei der ASEM Demo in Hamburg. Die Ruhe, die auch Stärke sein kann, wurde nicht gezeigt, sondern nur das Prügeln und das Steineschmeißen.

Was an deinen Bildern auffällt, ist der sichtbare Kontakt zu den Menschen, die du fotografierst.

Ja, das ist mir immer wichtig, auch wenn es mir nicht immer und in jeder Sekunde gelingt. Ich versuche immer erst mal, einen Kontakt zu dem Menschen herzustellen, auch wenn es ein flüchtiger ist. Ich will das Gefühl haben, dass der andere es okay findet, wenn ich jetzt ein Bild mache, anstatt einen geklauten Moment zu fotografieren.

Gilt das auch für den behelmten Polizisten vor deiner Kamera?

Das frage ich mich auch und erwische mich immer wieder dabei, es nicht zu machen. Wenn Zeit ist, dann guck ich die an. Ich erwarte nicht, dass ich ein Einverständnis bekomme, aber den Augenkontakt suche ich schon. Es gibt natürlich ganz viele Situationen, wo Polizei auf einem Foto von mir ist und es absolut keinen Grund und keine Zeit gibt, bei irgendjemandem um Einverständnis zu bitten.

Es ist doch sicher auch verlockend zu denken, „Hej, das Bild, diesen Ausschnitt, diese Inszenierung, das nehm ich jetzt mit, das kann ich verkaufen“?

Das hab ich früher oft gemacht, aber das will ich nicht mehr. Ich versuche eher, die Bilder zu machen, die mir gefallen. Ich merke an den Reaktionen der Leute, wenn ich meine Bilder zeige, dass sie das, was ich zeigen will, auch gerne sehen und dass sie es wahrnehmen. Diese anderen Bilder – naja, ich weiß, dass es Tausende von FotografInnen gibt, die technisch oder von der richtigen Position aus ein Bild machen können. Aber das sagt nichts aus außer über die Technik. Mir ist Technik richtig scheissegal.

Was sind deine Kriterien als Fotografin?

Oje - das ist schwer. Das, was ich rüberbringen will ist, dass ich das, was ich sehe und was mich berührt, sichtbar machen will, egal ob es positiv oder negativ ist. Wenn meine Haltung optisch sichtbar wird, ist es für mich ein gutes Foto.

Das geht dann wohl kaum ohne Erklärung?

Ja, früher dachte ich, ein gutes Bild spricht für sich. Aber jetzt merke ich, dass Worte dazu gehören. Ich erwische mich, an der Kippe zu sein, mehr für die Worte zu sein als für die Bilder. Zum Beispiel konzentriert sich meine Arbeit zur Zeit auf Interviews hauptsächlich mit Frauen - da sind mir die Gedanken und die Sachen, die die Frauen erzählen, viel wichtiger als mein Bild.

Deshalb der Schritt vom Foto hin zum Video?

Ja, aber auch zum Foto mit Text. In meiner Ausstellung im Kulturladen in St. Georg im Februar habe ich darauf bestanden, dass 14-seitige Interviews unter die Fotos an die Wand geklebt werden. Die Leute fielen um, aber auch, weil wir es technisch kaum lösen konnten, so viel Papier an die Wand zu bringen. Aber eigentlich fand ich es ganz gut.

Woran arbeitest du im Moment?

Gerade mache sehr viele Interviews mit Migrantinnen. Das eine ist ein Buchprojekt über Roma. Es gibt vier Organisationen in Hamburg und in Berlin, die im Rahmen eines EQUAL-Projekts Deutschunterricht Zugang zum Arbeitsmarkt für Roma schaffen. In Hamburg ist das der internationale Treffpunkt für Frauen und Mädchen im Karoviertel, Karola e.V., wo ich seit Jahren Fotoworkshops und Frauengruppen mache. Als Abschluss des EQUAL-Programms soll ein Buch mit Interviews der Teilnehmerinnen, Mediatorinnen und Lehrerinnen erscheinen. Außerdem gibt es eine Ausstellung im Diakonischen Werk (die Ausstellung „Berufswege“, bis Ende August im Dorothee-Sölle-Haus, Königstraße 54 in Altona). Ein weiteres Projekt, Interviews und Portraits mit älteren migrantischen Männern und Frauen in Wilhelmsburg, ist im Oktober im Bürgerhaus in Wilhelmsburg zu sehen. Und das Buch zu den Workshops, die ich mit Flüchtlingskindern gemacht habe ist, finde ich, immer noch sehr aktuell.



Veröffentlichungen:

KEIN FESTEN BODEN UNTER DEN FÜßEN.Flüchtlinge auf den Wohnschiffen

und

HEUTE GEHT ES MIR EIN BISSCHEN GUT. MINDERJAHRIGE UNBEGLEITETE FLÜCHTLINGE
von Gaby Gonzales Schwarz und Marily Stroux im Selbstverlag

WANDBILDER DER HAFENSTRASSE
St.Pauli Archiv, Moni Sigmund und Marily Stroux

BLINDE PASSAGIERE: ES IST LEICHTER IN DEN HIMMEL ZU KOMMEN ALS NACH EUROPA
von Reimer Dohrn und Marily Stroux im Verlag Brandes und Apsel, Frankfurt 1998, 11,80 Euro

BEI MIR IST ALLES NORMAL: SOLANGE LÖWEN KEIN EIGENE HISTORIKER HABEN, WERDEN DIE JAGDGESCHICHTEN VON JÄGERN GESCHRIEBEN
10 Jahre Photoworkshops mit Flüchltingskindern von Marily Stroux, Verlag Brandes und Apsel, Frankfurt 2004, 14 Euro

I PREFER TO SEE THAT AGAIN. Willkommhöft für Blinde Passagiere. Ein Film (33’) von Marily Stroux.

WELTREISE OHNE PASS
mit Fotos von Marily Stroux. Von Arian Talibian im Selbstverlag (Information und Bestellung über mokala.de)

Marily Stroux, Virtuelle Ausstellung "Berufswege von MigrantInnen"
HYPERLINK "http://www.integrationslotsehamburg.de/_SIRrbPUFWxnDTUcyaf/galerie/index.html" www.integrationslotsehamburg.de/_SIRrbPUFWxnDTUcyaf/galerie/index.html


© 2011 THE THING Hamburg is member of international Thing Network: [Wien] [Frankfurt] [New York] [Berlin] [Rome] [Amsterdam]